LOSE YOUR HEAD (NRW-Premiere) + Gäste + Interview

Im August 2013 war bei der NRW-Premierentour dieses trippigen Berliner Thrillers der spanische Hauptdarsteller Fernando Tielve zu Gast*:

LOSE YOUR HEAD
(NRW-Premiere) + Gast

(D 2013, 98 min, Regie: Patrick Schuckmann & Stefan Westerwelle, OmU, FSK 16)

Du wirst deinen Kopf verlieren...

So 11/08/13, 18:30, Schauburg Dortmund*
Mo 12/08/13, 21:00, Bambi Düsseldorf*
Mi 14/08/13, 19:00, Galerie Cinema Essen
So 18/08/13, 20:30, Lichtburg Oberhausen
Di 20/08/13, 21:00, Filmpalette Köln*
Mi 21/08/13, 21:00, Casablanca Bochum*

"Lose Your Head verwandelt sich schnell in einen fesselnden und bewusstseinsverändernden Thriller, lässt die Zuschauer bis zu den letzten Momenten im Umgewissen. Typische Überraschungswendungen vermeidend, die viele Geheimnisse enthüllen, hält der Film die Spannung mit unglaublichen Leistungen."Toronto Film Scene

 
Nach der Trennung von seinem Freund fliegt der Spanier Luis (Fernando Tielve aus "London Nights", "Goyas Geister") von Madrid nach Berlin, um ein Wochenende lang zu feiern und den Kopf frei zu kriegen. Wie viele Partytouristen zieht es in sofort in einen Nachtclub an der Spree, wo er tanzt und verschiedene Drogen nimmt, die ihm angeboten werden. Dem Charisma des geheimnisvollen Zufallsbekannten Viktor (Marko Mandic) kann er sich einfach nicht entziehen. Trotz Viktors seltsam dominanter Art, die zugleich fesselnd ist, verliebt Luis sich Hals über Kopf in Viktor. Alles was der Ukrainer von ihm fordert, ist bedingungsloses Vertrauen. Doch am nächsten Morgen wird Luis von der Griechin Elena (Sesede Terziyan) für ihren vermissten Bruder Dimitri gehalten, der Luis zum Verwechseln ähnlich sieht. Nicht nur hat Viktor Luis genauso frisiert und angezogen wie den Griechen, nein, Dimitri war auch bis vor kurzem Viktors Freund. Bevor er sich versieht, befindet sich Luis in einem Strudel rätselhafter Spuren Dimitiris, gefährlicher Verfolger hinter sich und einem schwindenden Sinn für Realität...

 
"Der Berlinale-Beitrag zeigt eine düstere Seite der Hauptstadt, hat das Zeug zum Kultfilm und bietet durchaus praktischen Nutzwert." – Gerd Brendel für Deutschlandradio

 
LOSE YOUR HEAD basiert lose auf dem wahren Verschwinden eines portugiesischen Berlintouristen, doch das ist eigentlich gar nicht wichtig. Spannender ist, dass das, was fast wie ein Werbefilm für die deutsche Hauptstadt beginnt, schnell zu einem Psycho-Thriller wird, der dem Zuschauer wenig Hinweise lässt, was Realität, was Drogenrausch und was Paranoia ist. So nimmt der Film die Zuschauer mit auf einen fesselnden Trip.

Zu den Vorstellungen in Dortmund, Düsseldorf, Köln und Bochum besuchte uns der spanische Hauptdarsteller Fernando Tielve.

 
"Lose Your Head hat eine unheimlich dichte Atmosphäre, die zum Schluss hin schier unerträglich wird... “You are gonna lose your head!” So geht es auch denen, die keine Drogen nehmen, wenn sie diesen außergewöhnlichen Film gesehen haben."Queerpride.de

 


 

Interview mit Regisseur Stefan Westerwelle

Zwischen Premieren, Filmrausch und Schlaflosigkeit sprach Martin Wolkner auf der Berlinale mit Stefan Westerwelle, der zusammen mit Patrick Schuckmann bei LOSE YOUR HEAD Regie geführt hat.

 
Martin: Hallo Stefan, du hast in Köln studiert.
Stefan: Genau, 4-5 Jahre lang an der Kunsthochschule für Medien (KHM) und 9 Jahre insgesamt in Köln gewohnt, bis ich dann aus familiären Gründen zurückziehen musste nach Ostwestfalen.

 
Martin: Das ist ja nicht gerade eine Filmgegend.
Stefan: Da wäre ich mir gar nicht so sicher. Ich finde zum Beispiel, das ist unentdecktes Terrain und gerade in Ostwestfalen, ob das jetzt der Teutoburger Wald ist oder Industriestädte wie Bielefeld, kann man großartige Locations finden.

 
Martin: Zum Drehen ja, aber nicht als Produktionsstandort vorrangig interessant.
Stefan: Das ist eine Frage der Perspektive. Infrastruktur gibt es dort und natürlich bietet sich Ostwestfalen und Lippe gut für Film an.

 
Martin: Gibt es denn dort Filminfrastruktur.
Stefan: Nein, die gibt es hauptsächlich in Köln.

 
Martin: Das meine ich ja. Zum Drehen ja, aber nicht zum Fördernlassen, Finanzieren.
Stefan: Förderung funktioniert ja immer länderbasiert. Da gibt es in Ostwestfalen dieselbe Chance wie in Düsseldorf oder Köln. Natürlich ist es richtig, dassm wenn du Technik brauchst, du sie dir eher aus Köln holen musst.

 
Martin: Und auch viele Kollegen von dort herholst.
Stefan: ...was dann wieder mit Übernachtungskosten z.B. verbunden ist. Natürlich ist es teurer, als in den Filmmetropolen zu drehen.

 
Martin: Aber man kann auch nicht immer in Kölner Vororten drehen.
Stefan: Richtig. Ich glaube auch, dass Städte wie Düsseldorf oder Köln auch ein bisschen kaputt sind; damit meine ich die Bereitschaft von Seiten der Anwohner, dass dort Filme gedreht werden. Das ist in Ostwestfalen noch ein Highlight. Da kommen die Leute und sagen: “Ach, hier wird ein Film gedreht. Wann kommt denn der im Fernsehen?” Die Atmosphäre ist dort ganz gut zum Drehen.

 
Martin: Du hast also verschiedene Wohnsitze und Jobs zurzeit.
Stefan: Die muss man natürlich in meinem Job haben. Man kann sich ja nicht in Nordrhein-Westfalen, Hamburg oder München hinsetzen und darauf warten, dass ein Job kommt, sondern man muss der Arbeit hinterher reisen und flexibel sein.

 
Martin: Wie war denn das bei dir? Du hattest 2006 mit deinem Film “Solange du hier bist” den deutschen Filmpreis gewonnen, und bis 2012 war erst mal Funkstille bei dir. Vielleicht sagst du mir, was in der Zeit passiert ist. Wenn man dein Filmschaffen betrachtet, gibt es eine Lücke von 6 Jahren, bis “Detlef – 60 Jahre schwul” kam.
Stefan: Ich sag mal, es waren Gott sei Dank nur 5 Jahre, aber diese Lücke ist irgendwie normal. “Solange du hier bist” war mein erster Film und gleichzeitig mein Abschlussfilm. Gerade wenn man etwas unerfahrener ist, konzentriert man sich erst mal auf ein einziges Ding. Das geht dann auf und wenn alles vorbei ist, stellst du fest, du hast keine Stoffe zum Nachreichen. Du verfügst noch nicht über die großen Kontakte, obwohl Leute auf dich zukommen. Aber man kann auf die Frage “Was machst du denn als nächstes?” nicht antworten. Nach „Solange Du hier bist“ habe ich mich auf ein einziges Drehbuch konzentriert, das dann letztendlich keinen Sender bekommen hat. Auf einmal steht man da, es sind drei Jahre vergangen und man macht keinen neuen Film. Dann beginnt man, sich umzuorientieren, schreibt, entwickelt relativ viele Stoffe parallel. Es kam dann auch ziemlich plötzlich, dass wieder ein Film da war.
Jetzt bin ich in einer besseren Situation. Ich hatte zwei Mal hintereinander einen Film auf der Berlinale – was natürlich großartig ist –, und kann jetzt, wenn Leute kommen, sagen: “Pass mal auf, ich habe die folgenden Stoffe...” Ich habe vier oder fünf Sachen in der Pipeline, die alle in anderen Entwicklungsstadien sind. Das heißt, man kann etwas vorweisen und die Wahrscheinlichkeit, dass man wieder schneller arbeiten kann, ist etwas gewachsen. Unter den Bedingungen, unter denen ich meine letzten beiden Filme hergestellt habe, sind ganz gute Filme entstanden, die Anerkennung bekommen haben. Dadurch ist hoffentlich Vertrauen vonseiten der Branche oder vielleicht auch vonseiten der Sender entstanden.

 
Martin: Wie kam denn das mit Detlef Stoffel zusammen? Hattet ihr die ursprüngliche Idee, das zu machen, oder hat er jemanden gesucht, der…?
Stefan: Das war einfach eine Zufallssache. Jan und ich wollten damals, das ist ja schon etwas her, einen Film über eine französische Galeristin machen, die uns aber bei Probedrehs rausgeschmissen hat, und dann standen wir ohne Projekt da. Also haben wir angefangen zu überlegen, und dann kam uns Detlef in den Sinn. Wir beide kannten ihn seit langer Zeit und wunderten uns, warum uns so spät eingefallen war, einen Film über ihn zu machen. Detlef hat viele Geschichten zu erzählen und ist selbst irgendwie Teil von Geschichte. Da entstand sofort ein ganzer Bogen. So muss das bei Filmen sein: im Bruchteil einer Sekunde sollte man die komplette Struktur des Films im Kopf haben, muss wissen, wo die Wendepunkte liegen, wo das emotionale Potenzial und natürlich auch das Entwicklungspotential in der Figur liegt. Das hat bei “Detlef” alles wunderbar geklappt.

 
Martin: Detlef hat natürlich auch gut mitgemacht.
Stefan: Ich glaube, er wollte das auch. Es war gottseidank nicht so, dass man ihn lange hätte überreden müssen. Ich glaube, er hat sich darüber gefreut, dass da zwei Leute kommen, die ein Portrait über ihn machen wollen – er bezeichnet sich ja selbst auch als Rampensau (und Romantiksau). Es war dann während der Dreharbeiten natürlich auch manchmal schwierig, weil es viel um Vertrauen ging. Jan und ich hatten oft das Gefühl, dass Detlef Sorge hatte, wir würden ihn als Loser darstellen, was wir natürlich nicht vorhatten. Aber als uns dann die Berlinale eingeladen und Detlef die Endfassung gesehen hatte, war er beruhigt und ganz sicher auch sehr berührt. (Ich habe ihn das erste Mal mit Tränen in den Augen gesehen.) Jetzt ist er sehr happy und tourt noch immer durch die Lande. Ich glaube, der Film hat nicht nur mir, sondern auch ihm sehr gut getan. Das ist natürlich toll, gerade wenn man wie Detlef möglicherweise glaubt, nicht mehr so viele Perspektiven für die eigene Zukunft sehen zu können. Das hat mit seinem Alter nichts zu tun, eher mit einer gewissen Resignation, die sich in ihm breitgemacht hat oder vielleicht damit, dass er nicht weiß, wo und wofür er sich momentan einsetzen soll. Das finde ich sehr schade, weil er ein sehr streitbarer, markanter Charakter ist, der nicht nur vieles zu erzählen hat, sondern besonders, weil gerade die schwule Community jemanden wie ihn dringend nötig hätte!

 
Martin: Er auch schon ganz viel in seinem Leben bewirkt hat. Was hat er nicht damals alles angestellt.
Stefan: Das ist natürlich auch so ein Punkt bei “Detlef”, dass wir seine Vergangenheit mit aufgenommen haben, aber auch fragen: “Was ist jetzt? Was passiert, wenn die wilden Jahre vorbei sind?” Darauf sagt Detlef ganz treffend: “Dann fangen die weniger wilden Zeiten an.”
Der Film thematisiert diesen Bruch von der extremen Aktivität hin zu einer Passivität. Das ist möglicherweise eine logische Konsequenz, wenn man so aktiv war wie er, dass man keinen Bock mehr hat, noch mal aktiv zu werden.

 
Martin: Du bist gerade in deinen aktiven Jahren. Der neue Stoff, LOSE YOUR HEAD, war der schon vor “Detlef” da oder hat es sich erst mit der Berlinale-Teilnahme im letzten Jahr ergeben, weil sich neue Türen geöffnet haben?
Stefan: Man hofft natürlich, wenn man einen Film auf der Berlinale hat, dass Leute anklopfen und sagen: “Hier, ich habe einen Stoff für dich. Möchtest du den nicht umsetzen, denn mir gefällt dein Film so gut?” Das löst sich aber in den seltensten Fällen ein. Ich wusste schon vorher von dem Stoff, den Patrick Schuckmann geschrieben hat. Damit hatte ich also nichts zu tun. Ich glaube aber, dass “Detlef” ein Zünglein an der Waage war, dass Patrick, der gleichzeitig auch Produzent des Films ist, mir das Projekt mit anvertraut hat. Anfang März, nach der Berlinale, haben wir gemeinsam mit der Drehbuchbearbeitung angefangen. Von Regieseite gibt es ja immer Punkte, die man gerne abändern möchte, z.B. an den Figuren. Es ging mir aber auch besonders darum, die Geschichte, an der Patrick eine lange Zeit geschrieben hatte, zu einem gewissen Teil zu meiner eigenen zu machen. Es ist sehr wichtig, einen eigenen Standpunkt zu finden und vielleicht auch eigene, unterschiedliche Ansätze auszumachen, die eine Verbindung zur eigenen Person herstellen. Auch wenn ab und zu die Fetzen flogen, haben wir es immer geschafft, die beste Entscheidung im Sinne des Films zu treffen. Wir haben dann relativ schnell gedreht, Anfang Juli, wir waren Anfang August fertig und sind dann in einem Affenzahn durch die Postproduktion geschlittert. Wir hatten Ute Schall als super Cutterin. Aber eine Woche vor der Premiere auf der Berlinale saßen wir noch bei Soundvision in Köln und haben die Tonmischung gemacht.

 
Martin: Euer Film war nicht der einzige, der nur ein paar Tage vor der Berlinale fertig gestellt wurde.
Stefan: Das ist ganz typisch. Zum Teil werden die Zusagen sehr kurzfristig gemacht, bei “Detlef” passierte das am 14. Januar, also einen Monat vor der Berlinale. Da die Zusagen erst so spät kommen und man möglicherweise auch nicht so viel Geld hat, und man nicht sofort eine Förderung generieren kann, um die letzten Schritte zu finanzieren, muss man etwas warten und sich dann, wenn die Finanzen endlich klar sind, umso mehr ranhalten.

 
Martin: Aber man reicht einen Rohschnitt ein, oder?
Stefan: Wir haben immer versucht, eine Version einzureichen, die möglichst nah an dem Endprodukt ist. Es ist natürlich gut, wenn man einem großen Festival sagen kann, dass das, was sie sehen, zu 99% das ist, was hinterher bei denen im Kino läuft. Ob die Soundmischung oder Farbkorrektur fertig ist, das ist meist nicht so wichtig. Das macht zwar bei der Filmwirkung extrem viel aus, aber die Richtung des Films beeinflusst es ja nicht mehr grundsätzlich.

 
Martin: Und du hast es gleich zum zweiten Mal in Folge auf die Berlinale geschafft. Der Film LOSE YOUR HEAD ist ein Genremix Drogenfilm im Berliner Sumpf, Thriller, ein bisschen abgedreht, eine Liebesgeschichte, Verwechslungen.
Stefan: Das ist ja nicht abgedreht, sondern eines der Grundprinzipien von Thrillern.

 
Martin: Aber das unzuverlässige Erzählen, ist das jetzt alles ein Traum, hat er sich das nur ausgedacht, auf welcher Realitätsebene sind wir. Das wird ja auch immer wieder über den Haufen geworfen.
Stefan: Die Frage ist, ob das so wichtig ist, einen Film immer genau zu entschlüsseln. Es gibt Filme, die das möglich oder nötig machen, manche wiederum nicht, so z.B. die von David Lynch. Ich persönlich habe kein Interesse daran, Realitätsebenen aufzuschlüsseln – hatte das auch bei LOSE YOUR HEAD nie. Für mich muss ein Film einfach ein Erlebnis sein, und ich finde es ganz wunderbar, wenn es ein Film schafft, meinen analytischen Verstand zu überspringen, und mich dahin bringt, mich von der Geschichte gefangen nehmen zu lassen, ohne über weiteres nachzudenken oder zu rätseln. So war das bei mir nach der ersten Drehbuchlektüre und ich glaube, es ist Patrick und mir bei der Umsetzung von LOSE YOUR HEAD geglückt, dieses Erlebnis herzustellen - gerade durch die ständigen Wendungen. Ich fand den Realitätsaspekt grundsätzlich sehr interessant, gerade wenn es um Drogen geht. Es gibt gewisse Konzepte von Realität und Nicht-Realität. Drogen bringen diese ein bisschen durcheinander. Emotionen werden durch Drogen verstärkt, werden aber als real wahrgenommen. Somit sind sie ebenfalls Realität, selbst wenn ich die andere Position einnehmen kann, es sei gefakte oder produzierte Realität, also Fiktion. Diese Balance arbeitet der Film, meines Erachtens, ganz gut aus, ohne dass man zwingend feststellen müsste, hier an der Stelle ist es Traum und dort real.

 
Martin: Lieber Leser, wir wollen natürlich nicht das Ende verraten, aber bis zum Ende weiß man nicht genau, was er real erlebt hat, waren es nur Drogenhalluzinationen.
Stefan: Es gibt die Möglichkeit, den Film genau auf das zu überprüfen, und man bekommt immer relativ schnell eine eigene Antwort. Und das ist ja auch gut so. Denn Film soll ja immer, zumindest sehe ich das so, ein subjektives Erlebnis sein. Ganz egal, was sich Autoren, Regisseure, Produzenten oder sonst wer denken, ein Film muss eigenständig sein, sonst interessiert er nicht.

 
Martin: Aber wie der Titel eigentlich schon sagt: “Lose Your Head” (zu deutsch: verlier deinen Kopf). Eigentlich sollte man diesen Film also gar nicht so hinterfragen, sondern sich auf den Trip einlassen.
Stefan: Das macht der Film auch gar nicht schwer, einfach weil wir viele Ebenen erzählen. Im ersten Teil erzählen wir eine Liebesgeschichte, die ständig zwischen Angst und Angezogenheit hin und herschwenkt. Dann wird es ein Thriller, dann wird es Horror ... Der Titel soll Programm sein. Und ich weiß, dass es dem Film auch gelingt.

 
Martin: Ein paar programmatische Titel hatten wir auf der Berlinale ja schon ["It's All So Quiet", Anmerkung der Redaktion]. Wie sehr kannst du dich denn in die Liebesgeschichte einfinden, die sehr stark mit Dominanz, mit Vertrauen spielt?
Stefan: Liebe ist ja grundsätzlich immer alles und hat ganz viel mit Projektion zu tun. Was will ich von dem anderen, was sehe ich in dem anderen?
Liebe ist nicht das Gefühl, das in Schlagern besungen wird, die rosarote Brille. Liebe ist meines Erachtens ein Gefühl, das alle möglichen Gefühle in einem einzigen Zustand sammelt. Dazu gehören auch Neid, Angst, Egoismus, der Wunsch, jemanden bei sich zu halten, ihn in Besitz zu nehmen, möglicherweise auch die Notwendigkeit, jemanden zu verletzen oder festzuhalten. Das ist für mich ein gleichberechtigter Teil von Liebe, und die ist auch Projektion: zwei Menschen, die keine gedankliche Verbindung miteinander eingehen können, weil Telepathie ja noch nicht möglich ist, können immer nur projizieren. Daraus entsteht dieses riesige Gefühlschaos, das man Liebe nennt. Deshalb kann ich die Situation der beiden Protagonisten extrem gut nachvollziehen; emotional jetzt vielleicht nicht, weil ich grundsätzlich eher auf Sicherheit setze (lacht). Keine Ahnung. Ich bin kein so Harter, was die Liebe betrifft. Wenn ich von mir persönlich spreche, ist es aber nicht nur immer die Sehnsucht nach der totalen Glückseligkeit oder dem Jemanden-Haben, sondern es ist auch die Sehnsucht nach dem Liebeskummer. Wenn ich mal Liebeskummer habe, sage ich oft, dass ich dieses Gefühl gar nicht missen möchte. Zumindest im Nachhinein hat sich das nicht als negatives Gefühl festgesetzt, sondern eher als eine großartige Erfahrung.

 
Martin: Hat es dir also nichts ausgemacht, wenn du sehnsüchtig warst und nicht das Objekt deiner Begierde bei dir hattest?
Stefan: Natürlich hat das wehgetan, aber ich finde, dass zur Liebe der Schmerz dazu gehört. Auch wenn ich dieses Gefühl schnell loswerden wollte, habe ich es als extrem positive Erfahrung wahrgenommen. Ich bin imstande, jemanden zu lieben oder um jemanden zu trauern. Ich fand immer ganz toll, festzustellen, dass ich das auch kann.

 
Martin: Man sagt ja auch gerne, dass gerade Künstler von so etwas zehren.
Stefan: Ja, vielleicht. Keine Ahnung. Wie wahrscheinlich von ganz vielen anderen Sachen auch; der Aufmerksamkeit jetzt auf der Berlinale, dem furchtbaren Loch, das nach der Berlinale kommt, der merkwürdigen Situation, ständig wieder von vorne anzufangen...

 
Martin: Willst du mit dem Film nicht auch noch auf ein paar andere Festivals gehen?
Stefan: Ich glaube nicht, dass der Film es schwer hat, auf andere Festivals zu kommen. Die Frage ist eher, laden die Festivals die Macher ein. Ich persönlich muss sagen, es ist mir jetzt mittlerweile wichtiger, dass ich Zeit finde, das nächste Projekt auf die Beine zu stellen. Dafür mache ich Filme und nicht, um auf jedes Festival zu fahren. Das klingt jetzt etwas arrogant.

 
Martin: Nein, man muss doch seine Prioritäten setzen. Auf Festivals eingeladen zu werden, ist eine nette Erfahrung, aber damit verdient man kein Geld.
Stefan: Das ist das Komische. Auf der einen Seite entscheidet man sich für diesen Beruf, der auch immer Glücksspiel ist. Grundsätzlich geht es mir aber persönlich zurzeit noch gar nicht wirklich darum, Geld zu machen. Ich will einfach Filme machen und möchte, dass die Budgets etwas größer werden, um technisch mehr auszuprobieren und sicherer und angenehmer und etwas größer arbeiten zu können.

 
Martin: Film ist deine große Liebe, aber Sicherheit gibt es selten, dass es wirklich alles so zustande kommt. Häufiger mal springen Produzenten oder Schauspieler ab oder es lässt sich nicht umsetzen wie gedacht.
Stefan: Aber so ist es ja auch im Leben. Weniges kommt so, wie man es wünscht oder plant. Bei der Filmherstellung sind es aber weniger die Produzenten oder Schauspieler, die einem Probleme machen, sondern die Sender. In Deutschland sind wir in einer Situation, in der man extrem von Sendern abhängig ist. Ohne einen Sender ist es schwer, einen Film ordentlich zu finanzieren.

 
Martin: Ein großes Manko in Deutschland.
Stefan: Was heißt Manko? Das ist einfach das System, mit dem man sich arrangieren muss, und es herrscht eine große Konkurrenz. Das Filmemachen wie das Leben bieten keine Sicherheit. Dafür hat man sich aber entschieden, also muss man auch die Konsequenzen dieser Freiheit tragen, die dieser Beruf ermöglicht – und vor allem flexibel bleiben. Es ist wichtig, dass man nicht verkrampft und sagt, ich will das aber unbedingt so. Dass man seine Offenheit behält, weil man beim Film mit vielen verschiedenen Kreativen zusammenarbeitet, die es zum Teil besser wissen, das ist wichtig! Ich habe großes Vertrauen darin, dass alles klappt, wenn man die Synergien, die mit anderen Menschen möglich sind, zulässt.

 
Martin: Woran arbeitest du denn gerade? Möchtest du darüber reden?
Stefan: Ich bin da ein bisschen abergläubisch. Ich habe momentan viele Stoffe, die ich alle toll finde. Da sind wieder schwule, aber auch nicht-schwule Stoffe dabei. Einer spielt im Iran, der andere in Hagen, wieder ein anderer ist ein Roadmovie durch Frankreich, ein anderer ist ein Kammerspiel in einem Ferienhaus, wieder ein anderer ist hochpersönlich und setzt das Schicksal meiner eigenen Mutter ins Zentrum und dem, was ich ihr so sehr wünsche. Da ist alles dabei: Drama, Komödie, Jugendfilm, Thriller. Mal sehen, welcher Stoff zuerst aufgeht. Ich würde am liebsten sofort alle machen.

 
Martin: Alle original von dir oder auch Drehbücher von anderen?
Stefan: Die Drehbücher schreibe ich selber, zum Teil sind es aber auch Romanadaptionen. Z.B. zum englischen Roman “Graffiti My Soul” habe ich das Drehbuch geschrieben, und das Projekt liegt gerade in der Finanzierung, und ich drücke die Daumen, weil es sonst leicht wieder 5 Jahre ohne Film werden können.

 
Martin: Vielen Dank, Stefan, für dieses Gespräch und viel Erfolg mit LOSE YOUR HEAD sowie deinen zukünftigen Projekten.